Nozizeptiver Schmerz
Nozizeptiver Schmerz ist der
häufigste Schmerztyp, eine normale Reaktion eines gesunden Nervensystems auf einen schädigenden Reiz. Er entsteht durch
Aktivierung von Nozizeptoren - spezialisierten Schmerzrezeptoren in Haut, Muskeln, Gelenken und Organen. Seine Funktion ist
Schutz des Körpers, denn er meldet Verbrennungen, Schnitt- oder Prellverletzungen und erzwingt eine
Flucht- oder Abwehrreaktion bzw. Schutz der betroffenen Stelle.
Charakteristisch für
nozizeptiven Schmerz ist, dass seine Intensität meist
proportional zum Ausmaß der Gewebeschädigung ist. Darüber hinaus
verschwindet er mit der Heilung der Verletzung, bis er völlig abklingt. Nozizeptoren können durch
mechanische, thermische oder chemische Reize aktiviert werden, was verschiedene Schmerzqualitäten hervorrufen kann.
Nozizeptiver Schmerz spricht in der Regel gut auf
Schmerzmittel aus der Gruppe der nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) oder auf Paracetamol an. Es handelt sich um einen Schmerz, den der Körper
„versteht” und der meist
nicht zu bleibenden Nervenschäden führt.
Oberflächlicher somatischer Schmerz
Dies ist eine Unterkategorie des nozizeptiven Schmerzes, die aus den Körperoberflächen - also Haut und Unterhaut - stammt. Er zeichnet sich durch eine
sehr präzise Lokalisation aus: Der Patient kann den schmerzenden Punkt exakt benennen. Der Schmerz wird als
scharf, brennend, stechend oder schneidend empfunden - je nach Art der Verletzung.
Ein typisches Beispiel für
oberflächlichen somatischen Schmerz ist ein Schnitt mit dem Messer, eine Abschürfung oder eine Verbrennung ersten Grades. Wegen der hohen Dichte an Schmerzrezeptoren in der Haut handelt es sich oft um einen Schmerz von hoher Intensität, der sofort auftritt.
Der Körper reagiert reflexartig - etwa durch das Zurückziehen der Hand bei Hitze. Da die
Schmerzstelle sichtbar ist, ist die Diagnose meist einfach, und die Behandlung beschränkt sich oft auf
lokale Wundversorgung und ggf. periphere Schmerzmedikation.
Tiefer somatischer Schmerz
Dieser Schmerz stammt aus
tiefer liegenden Strukturen des Bewegungsapparates - vor allem Muskeln, Sehnen, Bänder, Knochen oder Gelenke. Im Unterschied zum oberflächlichen Schmerz ist er oft
schwer zu lokalisieren. Der tiefe somatische Schmerz fühlt sich meist
dumpf, diffus und oft ausstrahlend aus und kann von
reflektorischer Muskelanspannung um die schmerzhafte Stelle begleitet sein.
Häufigste Ursachen sind
Sportverletzungen wie Zerrungen oder Verstauchungen, aber auch Überlastung oder degenerative Gelenk- und Muskelveränderungen. Da in tiefen Geweben
weniger Nozizeptoren verfügbar sind als in der Haut, entwickelt sich der Schmerz langsamer, kann aber
viel länger anhalten und zugleich quälender sein.
Ein häufiges Phänomen bei
tiefem somatischem Schmerz ist Schmerz‑Übertragung (z. B. eine Hüftgelenksproblematik, die als Schmerz im Knie wahrgenommen wird). Die Therapie erfordert meist eine Kombination aus
Medikamenten und Physiotherapie zur Wiederherstellung der Funktion der betroffenen Struktur.
Viszeraler Schmerz
Viszeraler Schmerz stammt aus
inneren Organen (Brustkorb, Bauchraum, Becken). Er ist ein
spezieller Schmerztyp, da innere Organe nicht auf Schnitte oder Verbrennungen reagieren, sondern sehr empfindlich auf
Dehnung, Sauerstoffmangel oder Entzündungen reagieren. Viszeraler Schmerz ist meist
schlecht lokalisierbar, tief und drückend, kann aber auch kolikartig sein.
Typisch für
viszeralen Schmerz sind vegetative Begleitsymptome wie
Übelkeit, Erbrechen und Schwitzen sowie häufig Blässe der Haut. Oft tritt Schmerz aus einem Organgebiet in ein ganz anderes - der Schmerz wird
reflektiert (projiziert). So kann z. B. eine Erkrankung der Gallenblase bis in die Schulter ausstrahlen.
Aufgrund der komplexen
Nervenversorgung der inneren Organe löst viszeraler Schmerz oft starke Angst und psychisches Unbehagen aus. Die Behandlung richtet sich daher nicht nur auf
Schmerzlinderung, sondern vor allem auf die
Ursache - also die Erkrankung des betroffenen Organs.
Entzündlicher Schmerz
Dieser Schmerz entsteht als direkte Folge der
Immunreaktion auf Gewebeschädigung oder Infektion. Im geschädigten Bereich entsteht eine Art chemische „Entzündungssuppe“, eine Mischung aus Prostaglandinen, Histamin und Zytokinen, die
Nervenenden stark reizt und ihre Empfindlichkeit herabsetzt.
In der Folge wird der betroffene Bereich
überempfindlich, gerötet und überwärmt (Entzündungszeichen). Entzündlicher Schmerz tritt z. B. bei
rheumatoider Arthritis oder nach Operationen auf. Häufig verstärkt sich der Schmerz
nachts oder morgens, und lässt nach Bewegung nach.
Entzündlicher Schmerz hat eine
schutzende Funktion, denn er zwingt dazu, den betroffenen Bereich zu schonen, was die Heilung fördert. Am wirksamsten sind
entzündungshemmende Medikamente (NSAIDs), die die Produktion der Schmerzmediatoren blockieren und so die biochemische Schmerzreaktion unterbrechen.
Neuropathischer Schmerz
Neuropathischer Schmerz entsteht nicht durch Gewebeschädigung, sondern durch
Dysfunktion oder Schädigung des Nervensystems selbst. Es ist ein quasi‑„falscher Alarm“, der von geschädigten Nervenstrukturen ausgelöst wird. Patienten beschreiben ihn mit Begriffen wie Brennen, Hitze, Stromschlag, Kribbeln oder Taubheit.
Es handelt sich häufig um
chronischen Schmerz, der schwer zu behandeln ist und oft
nicht auf klassische Schmerzmittel anspricht. Oft treten auch
Empfindungsstörungen auf, wie
Allodynie (Schmerz durch sonst harmlose Reize) oder
Hypästhesie (vermindertes Gefühl).
Ursachen für neuropathischen Schmerz sind unter anderem
Diabetes (diabetische Polyneuropathie),
Gürtelrose, Wirbelsäulenverletzungen oder Chemotherapie. Die Therapie besteht meist aus
Medikamenten, die das Nervensystem modulieren - etwa Antiepileptika oder Antidepressiva.
Peripher neuropathischer Schmerz
Diese Form betrifft
Nerven des peripheren Nervensystems, also außerhalb von Gehirn und Rückenmark. Betroffen kann ein
einzelner Nerv (Mononeuropathie) sein - z. B. beim
Karpaltunnelsyndrom - oder mehrere Nerven (Polyneuropathie).
Die Symptome zeigen sich meist in dem Bereich, den der betroffene Nerv versorgt - bei Polyneuropathie häufig in den
distalen Gliedmaßen: Hände und Füße. Es kommt zu typischen Gefühlsstörungen wie Kribbeln oder Taubheit („Empfindung wie in Socken und Handschuhen“).
Die
Regeneration peripherer Nerven ist oft langsam und nicht garantiert. Die Therapie zielt auf
Linderung der Symptome und vor allem auf den
Schutz der Nerven vor weiterer Schädigung, etwa durch Kontrolle des Blutzucker bei Diabetes.
Zentral neuropathischer Schmerz
Dieser Schmerz entsteht durch Schädigung des
zentralen Nervensystems - also Gehirn oder Rückenmark. Er zählt zu den
schwierigsten Schmerztypen. Ursachen können etwa
Schlaganfall,
Multiple Sklerose oder Verletzungen des Rückenmarks sein.
Der Schmerz kann
große Körperbereiche betreffen, im Fall eines Schlaganfalls sogar eine ganze Körperhälfte. Patienten berichten häufig von
ständigem, quälendem Brennen oder eisiger Kälte, verbunden mit plötzlichen, stechenden Schmerzattacken. Aufgrund gestörter schmerzhemmender Bahnen interpretiert das Gehirn Signale falsch oder erzeugt sie selbst.
Die Behandlung von
zentral neuropathischem Schmerz ist eine große Herausforderung. Oft ist eine
multimodale Therapie nötig - z. B. durch
Neurostimulation (Implantation eines Rückenmarkstimulators) und intensive
neurologische Rehabilitation, damit das Gehirn neu lernt, Schmerz richtig wahrzunehmen.
Neuralgie (Nervenschmerz)
Neuralgie, oft auch als Nervenschmerz bezeichnet, betrifft das Versorgungsgebiet eines bestimmten Nervs oder mehrerer Nerven. Typisch ist ein
plötzlicher, extrem starker und stechender Schmerz, der sich klar von anderen Schmerztypen unterscheidet. Im Gegensatz zu klassischem neuropathischem Schmerz, der chronisch sein kann, tritt Neuralgie meist akut und unvermittelt auf.
Ein bekanntes Beispiel ist die
Trigeminusneuralgie, bei der selbst einfache Tätigkeiten wie Zähneputzen oder ein Luftzug einen
paralysierenden Schmerz an einer Gesichtshälfte auslösen können. Ein anderes Beispiel ist die
Interkostalneuralgie, verursacht durch Schädigung oder Reizung der Nerven zwischen den Rippen. Häufige Ursache ist ein
neurovaskulärer Konflikt - der Druck eines Blutgefäßes auf einen Nerv.
Die Behandlung zielt darauf ab, die
Nervenmembran zu stabilisieren, um unkontrollierte elektrische Entladungen zu verhindern. In manchen Fällen sind
invasive Eingriffe nötig, wie Nervenblockaden. Zunehmend werden auch
Dekompressionsverfahren (z. B. mikrovaskuläre Dekompression) verwendet, um den physischen Druck auf den Nerv zu beseitigen.
Mischform‑Schmerz (Mixed-Schmerz)
In der klinischen Praxis trifft man selten auf reinen Schmerz eines Typs. Deshalb spricht man von
Mischform‑Schmerz, der sowohl nozizeptive als auch neuropathische Komponenten enthält. Dies ist besonders häufig bei
chronischen Rückenschmerzen oder
Tumorschmerzen der Fall.
Ein Beispiel ist eine
Bandscheibenprotrusion: Der geschädigte Bandscheibenbereich löst Entzündung aus (nozizeptiver Schmerz) und drückt gleichzeitig auf eine Nervenwurzel - was neuropathische Schmerzsymptome wie Ischialgie auslöst. Die Unterscheidung der Komponenten ist entscheidend für eine
effektive Schmerztherapie, denn entzündungshemmende Medikamente wirken nicht gegen Nervenschmerz.
Die Strategie zur Behandlung von
Mischform‑Schmerz verlangt einen
multimodalen Ansatz. Das heißt, Patienten benötigen gleichzeitig
Entzündungshemmer, Medikamente für neuropathischen Schmerz, Physiotherapie und psychologische Verfahren. Erst ein ganzheitliches Vorgehen kann wirkliche Linderung bringen.